von Connection e.V., IFOR, EBCO, WRI und Vicdani Ret İzleme
Die Beobachtungsstelle Kriegsdienstverweigerung (Vicdani Ret İzleme) hat einen neuen Bericht über das immer noch fehlende Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei veröffentlicht. Darin werden nicht nur die Strafverfolgungen, sondern auch die Folgen des „zivilen Todes“ für Kriegsdienstverweigerer beschrieben. Der Bericht wurde mit Unterstützung der Bertha-von-Suttner-Stiftung und in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung, Connection e.V., dem Internationalen Versöhnungsbund und War Resisters’ International veröffentlicht.
„Im August 2022 erhielt der Betrieb eine Abmahnung. Es wurde erklärt, dass es eine Straftat sei, einen Kriegsdienstverweigerer zu beschäftigen. Im September 2022 wurde ich entlassen. “
Kriegsdienstverweigerer Seyda Can Yılmaz
Der von Hülya Üçpınar und Merve Arkun verfasste Bericht beinhaltet auch Schilderungen von sieben Kriegsdienstverweigerern aus der Türkei und in diesem Bereich tätigen Anwälten. Er gibt einen umfassenden Überblick über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Kriegsdienstverweigerern, die Verletzung ihres Rechts auf Arbeit und den „zivilen Tod“, den sie in der Türkei erfahren.
Es gibt keine öffentlich zugänglichen offiziellen Daten oder Statistiken über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei. Die in diesem Bericht vorgestellten Daten und Grafiken beruhen auf Studien der Beobachtungsstelle Kriegsdienstverweigerung zur Ermittlung der Situation von Kriegsdienstverweigerern und Wehrpflichtigen.
„Selbst mit einem Bachelor-Abschluss bin ich in einer Position, in der ich nicht in staatlichen Einrichtungen arbeiten kann. In der Privatwirtschaft ist eine der ersten Bedingungen, dass ich meine Wehrpflicht erfülle. Das bedeutet eine unversicherte und informelle Beschäftigung… Mit anderen Worten, ich bin gezwungen, informell zu arbeiten, nur weil ich Kriegsdienstverweigerer bin.“
Kriegsdienstverweigerer Hüseyin Civan
Seit 17 Jahren Urteil des Europäischen Gerichtshofs ignoriert
Siebzehn Jahre nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2006 in der Rechtssache Ülke gegen die Türkei erkennt die Türkei das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nach wie vor nicht an. In der Türkei werden Kriegsdienstverweigerer nicht nur wegen Kriegsdienstverweigerung, Militärdienstentziehung oder Desertion verfolgt und bestraft, sondern sind auch mit vielen anderen Rechtsverletzungen und Einschränkungen konfrontiert, darunter Bußgelder, wiederholte Strafverfolgungen aufgrund derselben Anschuldigungen, Verletzungen ihres Rechts auf Bildung, Wahlrecht und Arbeit sowie Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Diesen Zustand hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2006 als „zivilen Tod“ bezeichnet.
„Ich weiß nicht, wie viele Vorladungen gegen mich ausgestellt wurden, aber ich schätze etwa 10. Einige davon wurden in Hotels und ähnlichen Einrichtungen ausgestellt, in denen ich übernachten musste. Einmal stellten sowohl die Polizei als auch die Gendarmerie im Abstand von 5 Minuten Vorladungen gegen mich aus. „
Kriegsdienstverweigerer Gökhan Soysal
Der Bericht bewertet die Folgen des „zivilen Todes“, denen Kriegsdienstverweigerer ausgesetzt sind, insbesondere im Zusammenhang mit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Verletzungen des Rechts auf Arbeit, und weist auf die Unvereinbarkeit zwischen der türkischen Gesetzgebung und den internationalen Menschenrechtsvorschriften hin.
„Als ich im Sommer 2018 das für das Visum erforderliche Dokument ausfüllte, wurde ich gefragt: ’Können Sie hier eine Weile warten?’, und mir wurde eine Ecke gezeigt. Sie riefen die Polizei. Die Polizei brachte mich zum Rekrutierungsbüro.“
Kriegsdienstverweigerer B.Ş.
„Der Bericht macht auf die Notwendigkeit einer Änderung der Politik in Bezug auf das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aufmerksam, um die Bedingungen des zivilen Todes und deren Folgen zu beseitigen“, so Merve Arkun. Die Autorinnen des Berichts betonen die Notwendigkeit, die von der Verfassung geschützten Grundrechte und -freiheiten in innerstaatliches Recht umzusetzen und die Anforderungen der internationalen Menschenrechtsmechanismen zu erfüllen. Eine Forderung, die seit 17 Jahren überfällig ist.
Antrag an das Ministerkomitee des Europarates
Die Beobachtungsstelle Kriegsdienstverweigerung, das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung, Connection e.V., der Internationale Versöhnungsbund und War Resisters’ International sandten zugleich einen Antrag an das Ministerkomitee des Europarates, das die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte überwacht.
Das Komitee hatte die türkische Regierung mehrfach aufgefordert, einen „Aktionsplan“ vorzulegen, der politische und praktische Maßnahmen zur Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung enthält. Die türkische Regierung legte Aktionspläne vor, am 31. März 2020, am 5. August 2021 und am 29. März 2023. Diese beinhalten jedoch keine Bestimmungen zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung.