Artikel aus dem Spinnrad 4/2015
Persönliche Eindrücke aus der Friedensgemeinde
Laetitia Sengseis ist seit September 2015 unsere Freiwillige in Kolumbien
Schweigend sitze ich in der Küche und schlürfe den kalten Kaffee vom Frühstück, so süss, wie ihn nur die Kolumbianer mögen. Eigentlich ist es mehr agua panela (Zuckerwasser) mit einem Hauch Kaffeegeschmack. Aber es schmeckt auch so. Die Mittagshitze hat die Tiere im Haus außer Gefecht gesetzt, die Hunde und Katzen dösen vor sich hin, die Schweine liegen in einem Pack an die Türschwelle gedrängt. Nur ein Huhn läuft gackernd durch die Küche auf der Suche nach Futter. Der Rauch des Feuers, auf dem ein Topf Bohnen kocht, zieht in meine Richtung. Die Decke ist schon schwarz vor Russ.
Die Familie, die wir begleiten, ist außer Haus, nur Urgrossmutti schlürft in ihren Schlapfen durch das Haus und besprenkelt den Boden mit Wasser – wozu, das verstehe ich nicht, der Boden ist ja nichts weiter als steinharte Erde. Sie erzählt mir, dass vor ein paar Tagen das Militär durch die finca der Friedensgemeinde marschiert sei und einer von ihnen nach Käse und Hühnern gefragt hätte- fürs Frühstück. Sie war alleine im Haus gewesen und hatte Angst gehabt. Als wir gestern ankamen, haben wir niemanden gesehen, sie waren wohl alle am Tag zuvor wieder gegangen. Ihr Sohn hatte die Truppe allerdings mehrmals auffordern müssen, die finca zu verlassen, denn die Friedensgemeinde duldet keine bewaffneten Akteure auf ihrem Land – eine ihrer Grundregeln. Ihre Geschichte, geprägt von Vertreibungen und Massakern an ihren Mitgliedern, begann 1997, als sich die Bauern und Bäuerinnen zusammenschlossen und einen neutralen Raum schufen, um sich dem bewaffneten Konflikt gewaltfrei zu widersetzen.
Die Hitze wird langsam unerträglich, also mache ich mich zurück auf den Weg zu meiner Hängematte im kühlen Schatten zweier Bäume. Da sehe ich Urgrossmuttis Sohn mit Kokosnüssen in der Hand in Richtung Haus stapfen – mjaaamm, denke ich – als wir das letzte Mal hier auf Begleitung waren, kochten wir Kokusnussreis, hoffentlich gibts den heute wieder! Die anderen sind wohl immer noch beschäftigt – vor allem jetzt, wo einige Familien ihre Häuser aus Angst vor Paramilitärs verlassen haben und vorübergehend in der Schule campieren – da wird Hilfe immer gebraucht. Am Abend, wenn alle wieder zusammensitzen und Geschichten erzählen, werden wir vielleicht ein bisschen mehr erfahren.
Mit den Namen komme ich immer noch nicht ganz zurecht, alleine diese Familie besteht schon aus 11 Leuten, wobei die zwei ältesten Söhne von bewaffneten Gruppen ermordet wurden und zwei weitere Söhne in der Stadt auf dem Bau arbeiten. Die anderen vier leben hier im Haus, zwei der Kinder haben auch ihre Partner, die hier zeitweise wohnen. Eine der Töchter hat zwei kleine Kinder. Und dann ist da noch die Urgrossmutti. Da machen drei Gäste auch keinen Unterschied mehr – wir sind zwei Begleiter_innen und ein Mitglied des Internen Rates der Friedensgemeinde. Dieses Mal sind wir gekommen, um Präsenz zu zeigen, vor allem da es viel Präsenz des Militärs und illegal bewaffneter Gruppen gibt. Vor zwei Tagen hat es nicht unweit der finca ein Kampf zwischen Militär und Paramilitär gegeben, man konnte Explosionen bis zum Haus hinauf hören. Seit Ende Oktober ist die Präsenz von Paramilitärs in der Region Urabá deutlich spürbarer geworden, nicht zuletzt durch das Eindringen einer Truppe in eine der fincas der Friedensgemeinde. In dieser Region finden seit Jahren immer wieder Kämpfe zwischen der nationalen Polizei oder dem kolumbianischen Militär und der FARC oder den Urabeños, einer paramilitärischen Gruppe, statt.
Als mich Urgrossmutti später fragt, wofür wir denn Mehl mitgenommen hätten (als Begleiter_innen bringen wir immer Essen für die Familie mit, die dann für uns kocht), scheitert mein Versuch Palatschinken zu erklären kläglich und ich bleibe mit dem großen Zweifel zurück, dass das Wort „panqueque“ wirklich existiert. So erging es mir anfangs oft, denn am Land wird ein sehr schnelles Spanisch gesprochen und auch das Vokabular unterscheidet sich stark von dem in der Stadt.
Nicht nur an das Spanisch hier musste ich mich gewöhnen, auch an den 2- stündigen Aufstieg nach La Union, wo FOR Peace Presence seit 2002 permanent Präsenz hat. Wir sind daher sparsamer mit unseren Lebensmitteleinkäufen geworden, denn hier müssen wir unsere Vorräte in Rucksäcken nach Hause tragen. Trotzdem kann ich mich nicht über unseren Speiseplan beschweren – frische Kräuter aus dem eigenen Garten und eine asiatische Teampartnerin machen aus einer einfachen Nudelsuppe immer ein schmackhaftes Abendessen.
Seit knapp zwei Monaten bin ich nun schon hier und lerne jeden Tag ein bisschen mehr über die komplexe Situation des Landes, die vor allem die Bauern und Bäuerinnen am Land, wie hier die Friedensgemeinde, betrifft.