Bericht zu den Konferenzen in Wien
„The courage to ban nuclear weapons“ – Wien im Zentrum der Debatte über die humanitären Konsequenzen von Atomwaffen
von Angelika Schoder[1]
Wie real ist die Bedrohung, die aktuell von Nuklearwaffen ausgeht? Wie können wir die Utopie einer atomwaffenfreien Welt verwirklichen? Diese Fragen stellten sich die Teilnehmer_innen an zwei Großevents, die Anfang Dezember beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit in Wien über die Bühne gegangen sind: Das ICAN Civil Society Forum (6.–7. Dezember in der Aula der Wissenschaften) und die internationale Staatenkonferenz zu den humanitären Auswirkungen von Nuklearwaffen (8.–9. Dezember in der Hofburg).
Die Auswirkungen und Risiken für Menschen und Umwelt im Zusammenhang mit Atomwaffen – ihrem bewussten Einsatz, ihrer Erzeugung und Erprobung, sowie ihrer bloßen Existenz – stehen im Mittelpunkt beider Veranstaltungen. Überlebende der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki („Hibakusha“) und von Nuklearwaffentests betroffene Menschen von den Marshallinseln, aus Australien und den USA erzählen von dem Leid und Unrecht, das sie am eigenen Leib erfahren mussten. Verschiedene Expert_innen weisen darauf hin, dass im Fall eines Atomwaffeneinsatzes keine unmittelbare medizinische und humanitäre Hilfeleistung für Menschen im von der Druckwelle und von Feuerstürmen zerstörten sowie von radioaktiver Strahlung verseuchten Gebiet durchführbar ist. Generell sind die Möglichkeiten, sich auf ein solches Szenario vorzubereiten, sehr begrenzt. Ein Klimaexperte unterstützt anhand eines Modells die Theorie des „nuklaren Winters“ – einer globalen Klimakatastrophe, die bereits durch einen lokal begrenzten Atomkrieg ausgelöst werden kann und deren Opfer durch Hungersnöte in Milliardenhöhe liegen würden. Ein US-Journalist enthüllt schockierende Sicherheitsdefizite im Umgang mit dem US-amerikanischen Atomwaffenarsenal. Der Film „The Man Who Saved the World“, den wir uns in einer exklusiven Vorschau am Montagabend im Gartenbaukino ansehen dürfen, zeigt, wie knapp wir bereits während des Kalten Kriegs der Katastrophe eines Atomkriegs entkommen sind. Außerdem erfahren wir aus dem Beitrag einer Internet-Expertin, dass „cyber attacks“ eine neue Gefahr für den unautorisierten Gebrauch von Atomwaffen darstellen, was wiederum die Verwundbarkeit des Systems bestätigt. Zusammenfassend lässt sich aus all diesen (und vielen weiteren) Beiträgen und Diskussionen der Schluss ziehen, dass das Risiko verbunden mit Nuklearwaffen höher ist als bisher vermutet. Die Wahrscheinlichkeit ihres Gebrauchs – sei es beabsichtigt, durch Unfall oder Terrorismus – ist nicht vernachlässigbar. Die Folgen für Menschen und Umwelt wären katastrophal und von globaler Tragweite.
Diese Erkenntnisse reflektieren sich auch in den Wortmeldungen der Delegationen bei der Staatenkonferenz. Einige Statements kommen immer wieder vor: Dass die totale Elimination von Nuklearwaffen der einzige Weg ist, um Sicherheit vor den katastrophalen Auswirkungen eines etwaigen Gebrauchs derselben zu erreichen. Dass der humanitäre Ansatz ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist. Dass die Beteiligung einiger Atomwaffenstaaten an der Konferenz (Anm.: USA, Großbritannien, Indien, Pakistan) ein gutes Zeichen ist. Dass die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielt und unbedingt in die Debatte einbezogen werden muss. Uneinigkeit herrscht allerdings über das „Wie“. Während die Zivilgesellschaft und die meisten Delegierten aus Staaten ohne Nuklearwaffen für ein rechtlich bindendes Instrument („ban treaty“, „convention“) plädieren, zeigen sich die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten zögerlich und wollen eine langsame, schrittweise Umsetzung im Rahmen der bestehenden Vertragswerke.
Angesichts der erschütternden Geschichten der Hibakusha und der besorgniserregenden Fakten, die uns von Expert_innen präsentiert werden, erscheinen diese Diskussionen endlos, schleppend. Wir wollen Handlungen, jetzt, so schnell wie möglich, bevor es zu spät ist! Die wachsende Ungeduld der Zivilgesellschaft und nichtnuklearen Staaten ist förmlich greifbar im großen Konferenzsaal. Doch eines zeigt sich deutlich: Atomwaffen sind Teil einer verhärteten Sicherheitsdoktrin, einer Rhetorik von Bedrohung und Abschreckung, eines Denkens tief verwurzelt in ideologischen und politischen Gegensätzen. Diese festgefahrenen Strukturen gilt es aufzubrechen. Die humanitäre Initiative ist ein wichtiger Beitrag zu diesem Unterfangen. Nach zwei Konferenzen in Oslo (Norwegen) und Nayarit (Mexiko) ist die Wiener Konferenz ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Auf alle Fälle braucht es viel Mut, um dieses Ziel zu erreichen. Dieser Mut zieht sich als Motto („The courage to ban nuclear weapons“) durch das Civil Society Forum und durch das Engagement vieler Menschen und Organisationen weltweit. Etwas von diesem Spirit spüren wir auch am Ende der Staatenkonferenz, als das österreichische Außenministerium eine starke Erklärung („Austrian Pledge“) in Richtung Ächtung, Verbot und Abrüstung von Atomwaffen abgibt. Diese Stimmung nehmen wir mit aus vier intensiven und spannenden Tagen, zum abschließenden gemeinsamen Feiern und Tanzen.
Mehr Informationen zu den beiden Veranstaltungen, sowie Bilder, Videos, Präsentationen, Statements der Delegationen, etc. …
ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons):
Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres:
http://www.bmeia.gv.at/index.php?id=55297&L=1
[1] Angelika Schoder war als Volunteer am ICAN Civil Society Forum beteiligt und Teil der zivilgesellschaftlichen Delegation bei der Staatenkonferenz. Dieser Text vermittelt persönliche Eindrücke dieser Veranstaltungen und deckt sich nicht notwendigerweise mit den Ansichten der anderen Teilnehmer_innen und Veranstalter_innen.
VB aktiv:
Der Versöhnungsbund (mit Zweigen aus Österreich, Belgien und Deutschland) war sowohl bei der Staatenkonferenz als auch beim „Marktplatz der Organisationen“ beim ICAN Civil Society Forum mit dabei. Unser Schwerpunkt: Gewaltfreie Aktionen gegen Atomwaffen.
Zum Flyer: HIER