Reisebericht ISR/PAL – Pete Hämmerle

Einen Baum zu pflanzen, heißt an die Zukunft zu glauben

Ein Reisebericht aus Palästina und Israel

Von Pete Hämmerle

Die Wahl von Donald Trump zum nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hat eine Fülle von Reaktionen und Kommentaren hervorgerufen, auch in Hinblick auf die Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen den USA und Israel und den Konflikt in der Region. Viele sehen durch die Ankündigungen Trump’s im Wahlkampf das definitive Ende der „Zweistaatenlösung“ gekommen, die de facto sowieso schon von der Realität überholt worden sei, und sehen Israel vor die Wahl gestellt: entweder es versteht sich als „jüdischer Staat“, wodurch eine Zweiklassengesellschaft für Juden/Jüdinnen und Araber_innen – nun unter Einschluss der Palästinenser_innen in den besetzten Gebieten –auf Dauer festgeschrieben werde, oder Israel definiert sich als „demokratischer Staat“ mit gleichen Rechten für alle seine Bewohner_innen. Andere wiederum halten nach wie vor am Prinzip der zwei Staaten fest, weil es von zwei momentan unrealistischen Szenarien noch die Option sei, die etwas weniger unwahrscheinlich zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten beitragen könnte, und fordern als „Abschiedsgeschenk“ von Präsident Obama eine UN-Resolution zu Prinzipien bzw. Parametern für Friedensverhandlungen oder sogar – wie z.B. Ex-Präsident Jimmy Carter – die diplomatische Anerkennung des Staates Palästina.

 

Olivenernte bei Daoud Nasser

 

Die Solidaritätsreise

In dieses politische Umfeld hinein führte die Reise, die vom Internationalen Versöhnungsbund und von Pax Christi Österreich gemeinsam organisiert wurde. Von 22. Oktober bis 2. November war eine Gruppe von insgesamt 23 Personen unter der Reiseleitung von Andreas Paul (PCÖ) und Pete Hämmerle (VB-Ö) in Palästina und Israel unterwegs, um gemäß dem Motto „Kommt und seht!“ einerseits die aktuelle Situation und den israelisch-palästinensischen Konflikt aus verschiedenen Blickwinkeln selbst kennen zu lernen, andererseits ein Zeichen der Solidarität mit Personen, Gruppen und Organisationen auf allen Konfliktseiten zu setzen, die sich gewaltfrei für einen Frieden in Gerechtigkeit und ohne Besatzung engagieren.

Das 11-tägige Programm umfasste über 20 Aktivitäten und Begegnungen mit mehreren palästinensischen, israelischen, gemischten und internationalen Friedens- und Menschenrechtsinitiativen: z.B. mit den beiden palästinensischen Versöhnungsbund-Mitgliedersorganisationen Wi’am – Palestinian Conflict Resolution&Transformation Centre (Zoughbi Zoughbi) und der Library on Wheels for Nonviolence and Peace (Nafez Assaily), die in verschiedenen lokalen Kontexten in Bethlehem und Hebron für gewaltfreie Erziehung, für die Förderung von Kinder- und Frauenrechten und für gewaltfreie Lösungsansätze im innerpalästinensischen und israelisch-palästinensischen Konflikt tätig sind, mit der Arche-Gemeinschaft in Bethlehem, die eine Tagesstätte für mental benachteiligte Menschen betreibt, oder mit dem christlich-ökumenischen SABEEL Center für eine palästinensische Befreiungstheologie in Ostjerusalem, in dem die Ansätze der Befreiungstheologie aus Lateinamerika und Südafrika auf die gegenwärtige Situation im Nahen Osten übertragen werden. Gesprächspartner_innen auf jüdisch-israelischer Seite waren u.a. zwei junge Aktivisten des Center for Jewish Nonviolence, Roni Hamermann von Machsom Watch (in deren Rahmen israelische Frauen regelmäßig Checkpoints beobachten und über die Menschenrechtssituation an den Checkpoints informieren) und Lydia Aisenberg aus dem Kibbuz Givat Haviva, die uns anschaulich über die Situation an der „Grünen Linie“ (der Waffenstillstandslinie von 1948/49, die die – nicht anerkannte – Grenze zwischen Israel und Palästina bildet) im Norden des Landes berichtete. Bei einer alternativen Stadtrundfahrt in und um Jerusalem, organisiert vom Israelischen Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD), lernten wir die Auswirkungen der Mauer und die Siedlungspolitik Israels ganz anschaulich kennen, die Führung durch das Holocaust-Kindermuseum Yad LaYeled und die Arbeit des Center for Humanistic Education nördlich von Akko dazu vergegenwärtigten uns das Bedürfnis vieler israelischer Menschen, in Sicherheit und Frieden in einem eigenen Land leben zu können.

Einen Vormittag verbrachten wir in der Hand in Hand-Schule in Jerusalem, einer binationalen Bildungseinrichtung, die das Zusammenleben und –lernen jüdischer und palästinensischer Kinder und Jugendlicher fördert. Besonders beeindruckend daran war die Begegnung mit zwei Schülerinnen, die beide aufgrund ihrer positiven Erfahrungen im Zusammenleben mit arabischen Schulkolleg_innen entschlossen sind, den auch für Frauen verpflichtenden Wehrdienst in der israelischen Armee zu verweigern. Einen Tag lang waren wir mit den Begleiter_innen des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI) unterwegs in den Hügeln südlich von Hebron und in Hebron selbst und hörten von ihrer Begleitarbeit mit den palästinensischen gewaltfreien Widerstandskomitees in Susiya und AtTuwani, mit den Kindern auf ihrem Schulweg und mit der Frauenkooperative in der Altstadt von Hebron. Toine van Teeffelen erzählte uns von der Arbeit des Alternative Education Centers und des Sumud Story House im Schatten der Mauer in Bethlehem, drei Mitarbeiter_innen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ, deutsche Agentur für Entwicklungszusammenarbeit) präsentierten uns ihre Programme zur Verbesserung der Lebensumstände in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Westjordanland und für die Stärkung und Förderung der Flüchtlinge in der gesamten Region des Nahen Ostens durch Vernetzung und Kapazitätsaufbau.

Der Aspekt der Solidarität stand insbesondere in der praktischen Mithilfe bei der Olivenernte und der Pflege der Olivenbäume im Projekt „Zelt der Völker“ bei Daoud Nassar und seiner Familie in Bethlehem auf der Tagesordnung. Insgesamt vier Mal machte sich die Gruppe auf den Weg zu Dahers Weinberg, wo wir nicht nur einen kleinen Beitrag zur Kultivierung des Landes leisten konnten, sondern auch vom bereits 25 Jahre währenden gewaltfreien Widerstand der Familie Nassar gegen die drohende Vertreibung und Enteignung erfuhren und über die Realität der Besatzung, des Siedlungsbaus und der Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden (Straßensperre bei der Zufahrt zum Gelände, wiederholte Zerstörung von Oliven- und Obstbäumen, Schikanen bei der Legalisierung des seit 1916 dokumentierten Grundbesitzes) informiert wurden. Der Kreis der praktischen Solidarität in Hinblick auf das Thema Oliven schloss sich für uns mit einem Besuch der Palestinian Fair Trade Organisation in Jenin und und Organisation Canaan in Burqin, die in ihrer Olivenpresse hochwertiges palästinensisches Olivenöl produziert und für den Verkauf in alle Welt – auch in den Weltläden in Österreich und über Pax Christi OÖ – exportiert.

Die Mauer direkt neben dem Wi’am-Center

Das „heilige Land“

Immer wieder sprechen wir vom „heiligen Land“, was natürlich insofern richtig ist, als sich hier auf engstem Raum – nochmals verdichtet in der Altstadt Jerusalems – die historischen Stätten und wichtige Heiligtümer der drei monotheisatischen Religionen des Judentums, des Christentums und des Islam befinden. Auf dem Reiseprogramm standen denn auch Besuche und Besichtigungen der Moschee und Synagoge Machpela in Hebron, wo die Stammeltern Abraham und Sara, Isaak und Rebekka sowie Jakob und Lea begraben sind, der Geburtskirche Jesu in Bethlehem und der Grabeskirche in Jerusalem, der Blick auf den Tempelberg mit Felsendom, Al Aqsa-Moschee und Klagemauer, aber auch weniger bekannte Bauten wie die Synagoge Bet Alpha in Galiläa aus dem 6. Jahrhundert oder die griechisch-orthodoxe St. Georgskirche in Burqin. Wir wollten jedoch nicht vorwiegend Steine, sondern Menschen besuchen, weshalb auch die Teilnahme an einer katholischen Messe auf Hebräisch, an der Sabbat-Feier (Kabbalat Shabat) in der reformierten Gemeinde Kol HaNeshama und ein ökumenischer Gottesdienst im SABEEL-Zentrum als Angebot auf dem Programm standen. Teil unserer Gruppe waren auch Schwester Juliana aus Oberösterreich und ihre vier internationalen Novizinnen aus dem Orden der Sionsschwestern (Notre Dame de Sion), deren Häuser in Ein Karem und Jerusalem wir ebenfalls besuchen konnten. Weiters hatten wir Begegnungen mit gläubigen Juden und Jüdinnen, Christ_innen und Muslim_innen, die aus ihrer jeweiligen Tradition und Spiritualität Kraft und Verheißung für ihre Friedensarbeit schöpfen – obwohl wir in vielen Fällen auch vom Gegenteil, der Benutzung von Religionen für die Rechtfertigung von Gewalt, Unterdrückung und Besitzansprüchen, hören mussten. Die Religionen werden kaum von jemandem als Haupt-Konfliktursache bezeichnet, oft sind sie aber Teil des Problems, und hoffentlich auch zukünftiger Lösungen.

Am österreichischen Nationalfeiertag, dem 26. Oktober, war unsere Gruppe im Österreichischen Hospiz in Jerusalem eingeladen, wo wir auch die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Gesandten Andrea Nasi vom Österreichischen Vertretungsbüro für die palästinensischen Gebiete in Ramallah hatten, der uns über die Schwerpunkte der Österreichischen Entwicklungspolitik in Palästina informierte und sich unseren Reiseerfahrungen und Friedensbemühungen, z.B. im Rahmen von EAPPI, sehr aufgeschlossen zeigte.

Hoffen wider alle Umstände

Während unserer Reise haben wir viel Bedrückendes über die Realität in Palästina und Israel gehört und einiges mit eigenen Augen gesehen. V.a. über die Aussichten für baldige politische Lösungen des Konflikts gab es kaum optimistische Prognosen. Aber wir haben trotzdem auch Hoffnungszeichen angetroffen, v.a. auf der Ebene, wo Menschen sich ganz konkret begegnen und engagieren. Einige davon werden in diesem Spinnrad kurz vorgestellt. Zusammenfassend würde ich folgende drei Punkte anführen:

 

  • Ein arabisches Wort für die Strategie gewaltfreien Widerstandes heißt sumud, Standhaftigkeit, und bezieht sich sowohl auf das Verwurzelt-sein im eigenen Land wie auf den Aufbau alternativer Handlungsmöglichkeiten und Institutionen gegen die israelische Besatzung. Daoud Nassar mit seinem Projekt Zelt der Völker bringt das so auf den Punkt: „Ein Baum ist ein Zeichen der Hoffnung. Einen Baum zu pflanzen, heißt an die Zukunft zu glauben. Man lernt daraus, dass Frieden von unten her wachsen muss.“ Solche Bäume der Hoffnung – wirkliche und symbolische – haben wir auf palästinensischer Seite viele gesehen.

 

  • Auf israelischer Seite haben wir ebenfalls viele Zeichen der Solidarität, der Zusammenarbeit mit Palästinenser_innen und der Verweigerung des Mittuns bei Gewalt und Unterdrückung kennen gelernt. „Besatzung ist nicht mein Judentum“, haben Isaac und Erez vom Zentrum für jüdische Gewaltfreiheit auf ihren T-Shirts stehen, die großteils älteren Damen von Machsom Watch stehen Woche für Woche, seit vielen Jahren, am Checkpoint in Kalandia, weil ihnen die Rechte palästinensischer Menschen genau so wichtig sind wie die jüdischer Menschen.

 

  • Der israelisch-palästinensische Konflikt kann nicht von Außenstehenden gelöst werden – weder auf politischer Ebene noch durch internationale Friedensorganisationen. Was aber sehr wohl wichtig ist und oft einen Unterschied ausmacht, sind Angebote von internationaler Präsenz, Begleitung, die moralische und in vielen Fällen auch finanzielle Unterstützung lokaler Friedensbemühungen vor Ort, die Verbundenheit im gemeinsamen Einsatz für einen gerechten Frieden durch die Mittel der aktiven Gewaltfreiheit. Dazu können wir hier in Österreich, in Europa unsere Beiträge leisten, indem wir faire palästinensische Produkte kaufen, über die Situation berichten, Begegnungen ermöglichen, Geld für konkrete Friedensprojekte auftreiben und vieles mehr.

Das Jahr 2017 bringt eine Fülle von Jahrestagen, die in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt von Bedeutung sind: 100 Jahre Balfour-Erklärung, 70 Jahre UN-Teilungsplan, 50 Jahre Besatzung von Westjordanland, Gazastreifen und Ostjerusalem, 30 Jahre Beginn der 1. Intifada. Der Versöhnungsbund wird in Zusammenhang damit und im Rahmen seiner Arbeitsschwerpunkte dazu aktiv sein – wir hoffen, mit der Unterstützung möglichst vieler unserer Leser_innen!

(Dezember 2016)

Zum Reisebericht von Andreas Paul HIER