Die Friedensgemeinde San José de Apartadó
Hintergrund
Die Friedensgemeinde San José de Apartadó liegt im Departement Antioquia im Grenzgebiet zu Panama. Dieser nördliche Zipfel von Antioquia gehört, gemeinsam mit Teilen der Departements Córdoba und Chocó, zur Region Urabá. Urabá ist sehr fruchtbar (Bananen-Großplantagen) und reich an Bodenschätzen (Erdöl, Erze, Kohle, Gold). Verkehrswege zwischen Nord- und Südamerika sowie Schmuggelwege für Waffen und Drogen verleihen dem Gebiet strategische Bedeutung.
Die Region ist seit Jahrzehnten in einem blutigen Konflikt, an dem sowohl illegale Akteure als auch das staatlichen Militär beteiligt sind, heiß umkämpft.
Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts war die Gegend nur spärlich besiedelt. Im Zuge der massiven internen Vertreibungen während des Bürgerkriegs („La Violencia“, 1948 – 1958) und dem Ausbau der Bananenproduktion in den 1960er-Jahren wanderte eine große Zahl von ArbeiterInnen in die Bezirke („municipios“) Apartadó, Turbo, Carepa und Chigorodó ein. Auf Grund fehlender Gesetze und der Gewalt der Unternehmer lebten die ArbeiterInnen unter dürftigsten Bedingungen. Da weder staatliche Einrichtungen noch staatliche Wohlfahrtsstellen vorhanden waren, wurde die Region in den 1980er-Jahren zur Hochburg der Guerilla-Bewegung FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens).
In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre konnte die marxistisch orientierte „Unión Patriótica“ viele politische Funktionen wie Bürgermeisterämter und einige Sitze im Senat und der Abgeordnetenkammer besetzen. Dieser politische Aufschwung einer von der FARC gegründeten Partei hatte jedoch ihre systematische Stigmatisierung und die Ermordung von Mitgliedern durch Paramilitärs, Geheimdienste und Drogenhändler zur Folge – in Urabá wie auch in ganz Kolumbien.
Mitte der 1990er-Jahre wurde die Region Urabá in einem blutigen Angriff von rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppen erobert. Tausende Bäuerinnen und Bauern wurden vertrieben oder ermordet. Paramilitärische Gruppen übten fortan durch Drohungen und Morde, insbesondere an denjenigen, die sie der Zusammenarbeit mit der FARC verdächtigten, Kontrolle aus.
Die Zusammenarbeit zwischen dem staatlichen Militär und paramilitärischen Gruppen ist in dieser Region gut dokumentiert und staatliche Sicherheitskräfte verstärkten ihre Präsenz während der letzten 10 Jahre zusehends.
Trotz des Demobilisierungsprozesses der Paramilitärs (2002 unter dem damaligen Präsidenten Álvaro Uribe Velez eingeleitet und 2006 offiziell beendet) bleiben die paramilitärischen Strukturen in der Region (wie auch in ganz Kolumbien) praktisch aufrecht. Neo-paramilitärische Gruppen (so genannte Bacrims) entstanden, drei von ihnen sind in der Region Urabá aktiv.
Gewaltfreier Widerstand gegen Krieg und Vertreibung
Die Friedensgemeinde San José de Apartadó wurde im März 1997 von Bauernfamilien als unabhängige und unbewaffnete Gemeinschaft gegründet, die auf der Grundlage der aktiven Gewaltfreiheit Widerstand gegen die Kriegslogik leistet. Damit möchten die Bauernfamilien ihrer Vertreibung entgegenwirken und „in Würde überleben“. Als Kleinbauern und –bäuerinnen gehören die Mitglieder der Friedensgemeinde zu den am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen Kolumbiens. Mit rund 5 Millionen Menschen weist Kolumbien weltweit die höchste Zahl an intern Vertriebenen auf. Diese Zahl zeigt deutlich, dass der Kampf um Land einer der Hauptgründe des seit fünf Jahrzehnten andauernden bewaffneten Konfliktes ist.
Zur Friedensgemeinde zählen zahlreiche teils sehr abgelegene Weiler, die nur zu Fuß oder zu Pferd zu erreichen sind. Manche Mitglieder der Friedensgemeinde leben auch in isolierten Bauernhöfen. Die Friedensgemeinde ist bemüht, so genannte „Humanitäre Zonen“ einzurichten. Diese kriegsneutralen Orte sollen die bäuerliche Bevölkerung während Kampfhandlungen schützen. Insgesamt zählt die Friedensgemeinde rund 500 Mitglieder.
Die Friedensgemeinde stützt sich auf das im Humanitären Völkerrecht verankerte Recht der Zivilbevölkerung, in einem bewaffneten Konflikt nicht in kriegerische Handlungen einbezogen zu werden. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hat die kolumbianische Regierung im Jahr 2000 aufgefordert, Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Friedensgemeinde zu ergreifen und diese Aufforderung wiederholt erneuert. Die Schutzmaßnahmen verpflichten die Regierung u.a., die jeweiligen Maßnahmen mit der Gemeinde abzustimmen. Die Auflagen wurden jedoch von der Regierung, die der Friedensgemeinde permanent Sympathie für die Guerilla unterstellt, über Jahre missachtet oder umgangen.
Organisation der Friedensgemeinde
Die Grundlage der Friedensgemeinde sind Regeln, die sie sich selbst gegeben hat:
- Friedlicher, gewaltfreier Widerstand gegen den Krieg
- Angehörigen der bewaffneten Kriegsparteien ist der Zutritt auf das Wohn- und Arbeitsgebiet der Gemeinde verwehrt
- Keine Kooperation/Interaktion mit bewaffneten Konfliktparteien
- Keine Weitergabe von Informationen an bewaffnete Gruppen
- Keine Drogen (Anbau, Handel, Konsum) oder Alkohol im Friedensdorf
- Gegenseitige Hilfe innerhalb der Gemeinschaft
Menschenrechtsverletzungen gegen die Friedensgemeinde
Seit der Gründung der Friedensgemeinde 1997 wurden mehr als 900 Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen an Mitgliedern verübt. Die Aggressionen reichen von Bedrohung, Verhaftung, Entführung über Konfiszieren von Geld, Vieh und Gütern, Vertreibung, Vergewaltigung, Folter bis hin zu Mord bzw. extralegalen Hinrichtungen. Seit 1997 wurden über 180 Mitglieder der Friedensgemeinde ermordet. Für den überwiegenden Teil der Übergriffe macht die Friedensgemeinde Paramilitärs sowie die Armee verantwortlich, rund zwei Dutzend gehen auf das Konto der Guerilla.
Lediglich in zwei Fällen wurden die Täter vor Gericht gebracht und verurteilt, obwohl die Friedensgemeinde alle der über 900 Menschenrechtsverletzungen dokumentierte und anzeigte. Dieses desaströse Ergebnis spiegelt die Situation in Kolumbien wider, wo über 90% aller Menschenrechtsverletzungen ungestraft bleiben. Als wichtigen Schritt gegen die Straflosigkeit hat die Friedensgemeinde einen Appell an die Regierung zur Einrichtung einer Evaluierungskommission gerichtet, die das Versagen des Justizsystems bezüglich der gegen ihre Mitglieder gerichteten Menschenrechtsverbrechen untersuchen soll.
Das Massaker am 21. Februar 2005:
In Mulatos wurden der Mitbegründer der Friedensgemeinde, Luis Eduardo Guerra, seine 17jährige Lebensgefährtin Bellanira Areiza Guzmán und sein 11jähriger Sohn Deiner ermordet. Der tote Körper von Luis Eduardo wies Spuren von Folter auf, die Körper von Bellanira und Deiner wurden in Stücke geschlagen.
In La Resbalosa wurden ein weiterer Gemeindeführer, Alfonso Bolívar Tuberquia, seine Lebensgefährtin Sandra Milena Munoz und seine beiden Kinder Natalia Andrea Tuberquia (6 Jahre) und Santiago Tuberquia Munoz (18 Monate) sowie Alejandro Pérez ermordet. Die Körper der Erwachsenen wurden verstümmelt und aufgeschlitzt.
Verantwortlich für das Massaker ist die 17. Armeebrigade.
Als „Reaktion“ auf die Massaker wurden auf Anordnung der Regierung und gegen den Willen der Friedensgemeinde am 31. März 2005 Polizeikräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, in San José, dem damaligen Hauptort der Friedensgemeinde, stationiert – ungeachtet dessen, dass die Massaker in einer Entfernung von ca. 12 Stunden Fußmarsch stattgefunden hatten. Die Mitglieder der Friedensgemeinde verließen im April unter Protest San José und begannen auf einem nahe gelegenen Privatgrund mit dem Bau des provisorischen Dorfes „San Josesito“, auch „La Holandita“ genannt. Innerhalb von vier Wochen entstand ein Dorf mit 40 Häusern, aber ohne Elektrizität, ohne sanitäre Anlagen, ohne Schule. Mit der Hilfe internationaler Organisationen konnten die Lebensbedingungen (Einleitung von Elektrizität, WCs etc.) der Friedensgemeinde innerhalb von einem Jahr verbessert werden. Als Reaktion auf die Stationierung des Polizeipostens in San José brach die Friedensgemeinde ihre formalen Beziehungen zum Staat ab.
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Ein historischer Sieg für die Friedensgemeinde
Im Jänner 2013 erließ der kolumbianische Verfassungsgerichtshof eine Revision eines Entscheides aus dem Jahr 2007, der sich speziell auf die Friedensgemeinde bezog. Das Gericht wollte überprüfen, ob die staatlichen Stellen ihre Verpflichtungen gemäß dem Entscheid 2007 erfüllt hatten. Im März 2012 führte der Verfassungsgerichtshof eine Anhörung mit einigen MinisterInnen und VertreterInnen der Friedensgemeinde durch.
Die Revision bestärkt die Friedensgemeinde in vielfacher Weise und verpflichtet die Regierung zu weiterführenden Schritten, um die Beziehungen zur Friedensgemeinde wieder herzustellen. Das Verfassungsgericht verfügte beispielsweise die formale Rücknahme stigmatisierender Äußerungen, die die Regierung, insbesondere der damalige Präsident Uribe, nach dem Massaker 2005 gemacht hatte. Außerdem ordnet die Revision eine Rechtsevaluierungskommission und die Entwicklung eines Planes für die Prävention von Menschenrechtsverletzungen und den kollektiven Schutz der Friedensgemeinde an.
Der Beitrag „Ein historischer Sieg für die Friedensgemeinde“ befindet sich im Spinnrad 1/2013.
Website der Friedensgemeinde: http://www.cdpsanjose.org/