Offener Brief an BM Martin Polaschek und BM Klaudia Tanner
Wien, 14. August 2024
Mehr Friedensförderung und Gewaltprävention statt einer Militarisierung unseres Bildungssystems
Herr Bildungsminister Martin Polaschek, Frau Verteidigungsministerin Klaudia Tanner,
Sie haben eine Debatte angestoßen, dass Soldat:innen der Miliz, aus der Militärmusik sowie dem Heeressport als Lehrkräfte angeworben werden sollen. Abseits dieses Vorstoßes sollen auch militärische Inhalte im Schulunterricht einen breiteren Raum einnehmen und Offiziere wurden in die Schulbuchkommission berufen.
Der Versöhnungsbund befürwortet die Absicht, dass den Schulen ausreichend Lehrkräfte zur Verfügung stehen und dass in Bildungseinrichtungen mehr über Frieden, Sicherheit und Konfliktbearbeitung gesprochen wird. Der Versöhnungsbund lehnt die von Ihnen jüngst vorgeschlagenen Maßnahmen gegen den Personalmangel im Bildungssystem ab. Wir wenden uns dabei nicht gegen Personen der Miliz mit all ihren Ausbildungen, sondern gegen die systematische Versicherheitlichung und Militarisierung der öffentlichen Debatte im Allgemeinen und des Bildungssystems im Besonderen.
Wir befürworten ein ausgewogenes und durch unabhängige Expert*innen ausgestaltetes friedenspädagogisches Auftreten. Dieses schließt Fragen der klassischen Verteidigungspolitik ein. Ein breiter Ansatz umfasst Methoden gewaltfreier Konfliktbearbeitung, Ursachen von Kriegen und Konflikten, die Praxis gewaltfreier Aktionen sowie die komplexen Zusammenhänge von Klimaerhitzung und Kriegen.
Im Rahmen des Lehrprinzips Politische Bildung bleiben Grundwerte wie Frieden oder die Skizze einer gerechten Friedensordnung nicht selten unkonkret oder werden aus Zeit- und Ressourcenmangel zu wenig berücksichtigt. Das derzeitige Bestücken des Schulsystems mit militärischen Aspekten und Personal erinnert uns an die 1980er-Jahre.
Nicht nur im Schulbereich, sondern auch an den Universitäten gewinnt Militärisches in Forschung und Lehre an Einfluss. In Form von Zivilklauseln üben auch dort Lehrende und Studierende Kritik, Rüstungsforschung zu unterstützen oder für die Rechtfertigung von Waffengewalt und Kriegen einzutreten.
Ein Blick auf die letzten Jahre zeigt, dass viele Lebensbereiche zeitweilig „versicherheitlicht“ wurden. Herausforderungen wurden und werden unter dem Aspekt der Sicherheitsbedrohung betrachtet und mit entsprechenden Instrumenten bearbeitet: Armee im Flecktarn gegen Corona, Armee gegen Bedrohung von diplomatischen Vertretungen, Armee gegen Kriminelle im Internet oder Armeefahrzeuge transportieren Häftlinge. Wer ist in einer Demokratie für welche Aufgaben zuständig? Sichtbarkeit und ein allgemeiner Effekt der Gewöhnung an das Bewaffnete im übertragenen wie wörtlichen Sinn sind beabsichtigt.
Der Versöhnungsbund fragt Sie:
- Wer trägt auch in der Schule Sorge, dass Herausforderungen nicht künftig immer mehr durch eine Sicherheitsbrille betrachtet werden und die Debatte über Konfliktbearbeitung weiter verengt wird? Frei nach dem Motto: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel“.
Wir treten dafür ein, dass Kindern die gewaltfreie Bearbeitung von Konflikten als primäre Perspektive angeboten wird. - Wie können Militärs Schulbücher bezüglich Neutralität objektiv auf Richtigkeit prüfen, wenn manche uniformierte Kollegen hinter vorgehaltener Hand die Neutralität als Haltung der Kriegsverweigerung längst als „Neutralitätsrisiko“ bezeichnen?
- Wer achtet darauf, dass unabhängige friedenspädagogische und friedenswissenschaftliche Expertisen stärker finanziert werden und zum Einsatz kommen?
- Wie können angesichts der aktuellen und berechtigen Fragen zum Krieg in der Ukraine Elemente gewaltfreier Konfliktlösung auf individueller, staatlicher und internationaler Ebene stärker verankert werden?
Mit freundlichen Grüßen
Internationaler Versöhnungsbund – Österreichischer Zweig